Nur noch zwei, drei, vier Lieder, die die Welt hören muss

Eigentlich hatte sich der Zürcher Rapper E.K.R. längst in sein Luxus-Hideaway in den Schweizer Bergen zurückgezogen und vom Balkon aus fleissig Fickfinger in den Schnee uriniert. Doch es ist wie mit allen Superhelden: Es braucht ihn halt noch. Deshalb erscheint am 31. Mai ein neues Album. Besser du hörst es dir an.

Musik ist für viele nicht mehr als eine Art Grundrauschen. Ein akustischer Teppich, auf dem man etwas smoother durch den Alltag gleitet. Radio oder Spotify Playlist «Music to do an annoying Office Job to» an, Verstand aus. Gute Nachrichten für all jene, die Musik so benutzen: Ihr dürft genau hier aufhören zu lesen. Es handelt sich hierbei nämlich um ein Schreiben an all jene, die sich von Musik gerne mal aus der Bahn werfen, von ihr durchschütteln und neu kalibrieren lassen.

Thomas Bollinger alias E.K.R. tut dies mit seiner Musik seit den frühen neunziger Jahren. Tracks wie «Ein König regiert» oder «Oh Susi» liefen damals in jedem vernünftigen Walkman und irgendwann war ein Album mit Storytelling auf Mundart da, bevor die Masse sich überhaupt vorstellen könnte, dass so etwas überhaupt möglich ist.

Seither hat E.K.R. immer wieder die kleine Mundartwelt durchgeschüttelt, weil er sich eben nie für sie interessiert hat. In seinem Blickfeld stand immer die Musik, die Kunst, die Irrungen und Wirrungen des täglichen Lebens – so erzählt, dass wir uns alle darin wiederfinden können.

Das ändert sich auch auf seinem mindestens sechsten Soloalbum «Blaus Bluet» nicht. Es ist wie immer bei seiner Majestät: Jedes Stück hat ein Thema, jede Zeile ihre Berechtigung, jeder Gedankengang ist eigen.

Doch die Kernfrage des Albums, die in grandiosen Bewussteinsstrom-Texten wie demjenigen der Vorabsingle «Dopamin», im Fake-News-Wirbel von «Infochrieg» oder im Datenwirrwarr von «Verblödet» immer wieder zum Vorschein kommt, ist die der Ablenkung, der Fehlinformationen, der Manipulation, der Stellvertreterkriege und Algorithmen. In «Dopamin» vollführt er selbst virtuos Gedankensprünge – vielleicht auch um uns zu sagen: «Wo isch dä Fokus hii?» Was wollen wir eigentlich? Was hat dir der Nachmittag auf Instagram gebracht? Und was machst du da in Nachbars Gärtli?

Auch E.K.R. selbst hat lange gebraucht, um den Fokus wieder zu finden zwischen langen Nächten und Alltagssorgen. Das hängt sicher auch damit zusammen, dass er immer Alben produziert, die sich thematisch wie musikalisch in etliche Richtungen strecken: Nach einer nostalgischen Electrofunk-Nummer wie «Trainer & Goldchetteli» folgt mit «Sternestaub» alsbald eine poetische Future-R&B-Reflektion, die auch von Drake stammen könnte. Dazu gesellen sich Clubbanger und Features der Sänger Philipp Albrecht und Seven, der den betörenden Titeltrack mit seinen orientalisch anmutenden Synthieschwaden veredelt. Und hinter jedem Subbass und jeder klatschenden Snare tauchen unvermittelt diese Zeilen auf, für die man den König liebt: «Bin scho dä Man gsi, bevor’s em Junge Altä gseit händ, scho lang bluetverwandt bevors mit Brudi Brate gmeint händ».

Vielleicht ist E.K.R. – um noch ein bisschen mit dem Vokabular des Moments zu jonglieren – auch einfach der nachhaltigste Rapper der Welt. Er taucht immer nur auf, wenn er wieder was zu sagen hat. Auf leisen Sohlen, um sich eure Töchter zu holen. Jetzt ist wieder so ein Moment.